Historisches

Die Wülfeler Kapelle

aufgezeichnet von Pastor Ernst Wehr (1936)

Bezüglich der Kapelle Wülfel wird in einer Notiz unseres Döhrener Pfarrarchivs ungefähr aus dem Jahre 1550 mitgeteilt: "De Kerkhof, da de Kapelle up gebuwet is, is ein Garde gewest unde heft den Ernsten gehört. De hebben öne taun Kerkhus gegewen, wo me dat in einen olen Bauke in der Kerken vertekent sindt." Wir wissen also, daß eine in Wülfel ansässige Familie des Namens Ernst einen Garten im Dorfe als Bauplatz für die Kapelle in Wülfel geschenkt hat, und daß auf diesem Grundstück die Wülfeler Kapelle erbaut ist. Diese Notiz von 1550 beruft sich auf alte Angaben in einem heute nicht mehr vorhandenen alten Kirchenbuche von Döhren. Die Bauzeit dieser Kapelle auf dem Ernst'schen Grundstück darf danach noch um eine erhebliche Zeit zurückgesetzt werden. Ob man bis 1300 zurückgehen darf, will ich dahingestellt sein lassen; ebenso, ob diese Kapelle das erste Gotteshaus in Wülfel gewesen ist, oder ob vor ihm schon ein anderes vorhanden gewesen ist. Da in den Jahren nach 1550 nichts von einem Umbau oder Neubau der Kapelle in Wülfel in den Döhrener Pfarrakten zu finden ist, darf angenommen werden, daß die um 1550 erwähnte Kapelle dasselbe Gebäude war, das den älteren Gemeindegliedern aus der Vorkriegszeit noch bekannt sein wird. Die Kapelle lag an der damaligen Wilkenburger Straße, wo diese aus der Richtung Ost West nach Nord Süd umbog. Westlich der Kapelle und der Straße fiel das Gelände steil nach der Masch hin ab, so daß die Kapelle bis weit in die Masch hinein sichtbar war. Sie war ein kleines, aus Bruchsteinen erbautes Kirchlein, das kaum mehr als 10 Menschen aufnehmen konnte. Auf dem Westende des Dachfirstes saß ein Dachreiter zur Aufnahme der Glocke. Die Altarnische an der Ostwand war nicht mehr vorhanden, als ich im Jahre 1896 die Kapelle zum ersten Male sah, aber die Grundmauern derselben waren noch sichtbar. Die Lücke in der Kirchenmauer, welche die Altarnische vor ihrem Verfall und Abbruch ausgefüllt hatte, war zugemauert, aber noch deutlich von dem übrigen Mauerwerk zu unterscheiden.

Für die Zwecke, für welche die Kapelle erbaut war, genügte der Raum in der Kapelle. Es wurden sogenannte Quartalsgottesdienste in ihr gehalten, verbunden mit Beichte und Abendmahl. Man wollte dadurch kranken und altersschwachen Wülfeler Gemeindegliedern, denen der Weg nach Döhren zu beschwerlich war, Gelegenheit geben, den Gottesdienst zu besuchen und das heilige Abendmahl zu feiern. Außer den Quartalsgottesdiensten fanden in der Kapelle auch Taufen und Trauungen statt. Wann die Kapelle für gottesdienstliche Zwecke außer Gebrauch gekommen ist, kann ich nicht angeben. Als ich im Jahre 1896 zum Pastor in Döhren ernannt wurde, war in dem Dachreiter auf der Kapelle die 1817 gegossene Glocke aufgehängt. Sie wurde benutzt bei der Beerdigung von Wülfeler Gemeindegliedern und als Betglocke geläutet. Der Innenraum der Kapelle war zur Aufbewahrung der Wülfeler Feuerspritze in Benutzung genommen. Im Verlauf des letzten Krieges ist die Kapelle abgebrochen, um Fabrikgebäuden Platz zu machen, in denen Kriegsmunition hergestellt wurde. Von dem bevorstehenden Abbruch der Kapelle war dem Kapellenvorstand keinerlei Mitteilung gemacht worden Als mich mein Weg eines Tages an der Kapelle vorüberführte, standen die Mauern nur bis zu halber Dachhöhe. Ich habe dann Auftrag gegeben, beim Abbruch der Fundamente besonders in der Altarnische, darauf zu achten, ob irgendwelche geschichtlich bedeutsamen Gegenstände zu tage kömen. Man hat aber nichts gefunden. Die Glocke auf der Kapelle befindet sich jetzt im Provinzialmuseum in Hannover.

Wenn der Pastor Froböse, Pastor in Döhren von 1673 bis 1704, sagt, daß bei der Kapelle in Wülfel kein freier Platz oder Friedhof gewesen sei, so kann das für die Zeit in der Froböse Pastor in Döhren war, gelten, für frühere Zeiten aber nicht. Es ist kaum anzunehmen, daß der Garten, den die Familie Ernst als Bauplatz geschenkt hat, nicht größer gewesen sei als der kleine Platz, den nachher das Kapellengebäude bedeckt hat. Diese Meinung fand ich bestätigt, als man während des letzten Krieges daran ging, für die Fundamente der zu errichtenden Fabrikgebäude in der Umgebung der Kapelle Boden auszuschachten. Im Süden der Kapelle wurden dabei ganze Reihen von Gräbern bloßgelegt, in denen Menschenschädel und -knochen gefunden wurden, also die Spuren eines ehemals hier vorhandenen Friedhofes.

Für gottesdienstliche Zwecke wäre die Kapelle schwerlich je wieder in Frage gekommen, da inzwischen in Wülfel eine neue, schöne Kirche gebaut und in Gebrauch genommen war. Mit dem Bau der Wülfeler Kirche kam ein Plan zur Ausführung, den der verstorbene Pastor Baustaedt schon erwogen hatte. Nach seinem Tode wurde die neben der Pfarrstelle in Döhren bestehende ständige Kollaboratur in eine selbständige Pfarrstelle (Döhren II) umgewandelt und ihr Sitz im Jahre 1900 nach Wülfel verlegt. Der Inhaber dieser Pfarrstelle ist heute noch 2. Pastor in Döhren. Nun begannen die Vorbereitungen für den Bau der neuen Wülfeler Kirche. Der beste Bauplatz wäre das Gelände an der Hildesheimer Chaussee gewesen, da, wo die Straße "Am Mittelfelde" von der Hildesheimer Chaussee abzweigt. Aber man hatte versäumt, dieses Gelände rechtzeitig zu erwerben. Verhandlungen über den Erwerb eines Bauplatzes unmittelbar östlich von dem alten Wülfeler Friedhofe an der Hildesheimer Chaussee führten nicht zum Ziel. Da erbot sich der Rittergutsbesitzer, Herr A. Fontaine, den Platz auf dem die Kirche heute steht, als Bauplatz zu schenken. Die Gemeinde Wülfel schenkte eine Fläche von etwa einem Viertel Morgen hinzu, so daß Raum für Kirche, Pfarrhaus und Konfirmandensaal vorhanden war.

Zur Anfertigung von Bauplänen wurden die Architekten Professor Mohrmann, Börgemann und Wendebourg aufgefordert. Eine Sachverständigenkommission entschied sich für den Entwurf des letztgenannten Herrn. Man ging zunächst an den Bau des Pfarrhauses und Konfirmandensaales. Die Maurerarbeiten hat der Maurermeister Struckmeyer geliefert, die Zimmerarbeiten der Zimmermeister Martin, die Dachdeckerarbeiten der Dachdeckermeister Seelmeyer. Im Herbst des Jahres 1907 waren Pfarrhaus und Konfirmandensaal fertig gestellt. Die Baukosten für Pfarrhaus und Konfirmendensaal haben die Höhe von rund 36 000 RM erreicht.

Mit dem Bau der Kirche konnte im Herbst 1909 begonnen werden. Am 8. September fand die Grundsteinlegung statt. In die Zinkkapsel, welche in den Grundstein unter der Kanzel eingelassen wurde, waren Münzen, tunlichst mit der Jahreszahl 1909, gelegt. Die in Hannover erscheinenden Zeitungen des 8. September und ein Bericht über die Entwicklung der Gemeinde bis 1909 wurden gleichfalls in die Kapsel niedergelegt. Die Feier begann mit dem Gemeindelied: "Lobe den Herrn, den mächtigen König der Ehren" und schloß mit dem Lutherlied: "Ein feste Burg ist unser Gott". Der Döhrener Kirchenchor sang. Die ersten drei Hammerschläge vollzog der Superintendent der Inspektion Limmer, Herr Beyer.

Die Weiterführung des Baues zog sich durch 2 Jahre hindurch. Am Schluß des Jahres 1910 waren die Mauern der Kirche und des Turmes bis zum Kirchendach hochgebracht. Eingeweiht werden konnte die Kirche am 2. Advent, dem 10. Dezember 1911. Die Maurerarbeiten vollführte der Maurermeister Spangenberg. Zimmer und Dachdeckerarbeiten dieselben Meister wie beim Pfarrhausbau. Drei prächtige Bronzeglocken in dem Mollakkord cis, e, gis hatte die Firma Nadler in Hildesheim geliefert. Die Orgel mit 21 klingenden Registern ist in der Fabrik von Furtwängler und Hammer in Hannover gebaut. Den elektrischen Antrieb der Glocken lieferten die Herforder Elektrizitätswerke. Die Innenvermalung der Kirche führte der Malermeister Carnehl unter Leitung des Kunstmalers Koch, Hannover, aus. Die Glasmalereien in den Fenstern der Apsis und die Rosette in der Westwand sind eine Arbeit des Glasmalers Mühlenbein, Hannover. Die Bildhauerarbeiten stammen von Buhmann, Hannover, und Lampe, Döhren, die Beleuchtungskörper von Hägemann, Hannover. Die Baukosten haben sich auf rund 170 000 RM belaufen. Für diese verhältnismäßig niedrige Summe ist von dem Architekten, Herrn Wendebourg, ein vortreffliches Werk geliefert. In den Tagen der Vollendung der Kirche fanden sich in den Hannoverschen Zeitungen Urteile über den Bau. Eines möge hier Platz finden: "Man wird sich dieses neuen Gotteshauses, das in bewußter Loslösung von der Schablone und in der konsequenten Herausarbeit einer eigenen Melodie das Seinige dazu tut, die arg in Verruf geratene heimische Gotik im Kirchenbau wieder zu Ehren zu bringen, nur aufrichtig freuen können."

Aus: Das kleine Freie, Mitteilungen aus der Geschichte von Döhren-Wülfel-Laatzen, aufgezeichnet von Pastor Ernst Wehr (1936), Hrsg. Kirchenvorstand der St. Petri- Gemeinde, Hannover-Döhren, Textredaktion: Heiderose Risse, Hannover 1989.